zurück

Allgemeine Information


Entstehung, Anwendungsbereich und Verkehrswertbegriff des LBG (§§ 1-2 LBG)


Das mit BGBl Nr. 150/1992 und bislang unverändert in Geltung befindliche LBG ist Nachfolger und Weiterentwicklung der zu diesem Zeitpunkt bereits etwa 100 Jahre bestehenden Realschätzungsordnung, welche auf Grund des Einführungsgesetzes zur Exekutionsordnung, RGBl. Nr. 78/1896 zu Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt wurde. Im Gegensatz zu der Realschätzungsordnung wurde der Anwendungsbereich des LBG deutlich erweitert und zahlreiche Detailregelungen zu Gunsten einer selbstständigen Disposition durch Sachverständige und Gerichte gestrichen. Das LBG sollte vor allem grundsätzliche Regeln für Bewertungen und insbesondere für die Durchführung der Wertermittlungsverfahren und für die Gutachtenserstattung festlegen und die wichtigsten Begriffe bestimmen. Ebenso werden darin bis dahin von der Bewertungswissenschaft entwickelte Wertermittlungsmethoden und zwar das Vergleichswertverfahren, Ertragswertverfahren und Sachwertverfahren beschrieben und geregelt.

Die auf Grund des Einführungsgesetzes zur Exekutionsordnung, RGBl. Nr. 78/1896, und auf Grund des § 144 Abs. 4 EO erlassene Verordnung der Minister der Justiz, des Inneren und des Ackerbaues, RGBl. Nr. 17511897, über die Schätzung von Liegenschaften (Realschätzungsordnung) enthielt sehr detaillierte und in jedem Abschnitt nach einzelnen Liegenschaftsarten vielfach aufgegliederte Vorschriften über die Bestimmung des Schätzwertes von Liegenschaften. Sie galt für Zwecke des Exekutionsverfahrens, wie etwa die Festlegung des geringsten Gebotes nach § 151 EO und des Überbotes nach § 195 EO. Weiters war sie nach ihrem § 33 sinngemäß auch im Konkursverfahren anzuwenden. Während der zur Zeit der Erlassung des LBG schon fast hundertjährigen Geltungsdauer dieses Regelungswerkes wurde im juristischen und im bewertungswissenschaftlichen Schrifttum immer wieder die Forderung nach einer Erneuerung der Realschätzungsordnung erhoben Den dringlichsten Reformwünschen kam der Gesetzgeber mit der Novelle BG BGBl. NI. 561/1985 zur Realschätzungsordnung nach, mit der ein besonders schwerwiegender Mangel in Ansehung der Wahl der Bewertungsmethode beseitigt wurde. Schon in den Erläuterungen zu dieser Novelle wurde die Realschätzungsordnung als „im ganzen überholungsbedürftig“ bezeichnet (RV 396 BlgNR 16. GP, 3). Unabhängig von den Forderungen nach einer Erneuerung der Realschätzungsordnung wurde in den letzten Jahren und Jahrzehnten im praktischen Rechtsleben das Bedürfnis offenkundig, sich auch außerhalb des Exekutions- und Konkursverfahrens bei der Ermittlung des Wertes von Liegenschaften auf allgemein anerkannte Regeln stützen zu können. Dieses Bedürfnis fand im Jahr 1977 in den vom Amt der Steiermärkischen Landesregierung herausgegebenen und in der Folge immer wieder überarbeiteten „Liegenschaftsbewertungsrichtlinien“ seinen Niederschlag. Nach den Intentionen ihrer Autoren sollten diese Richtlinien den allgemein anerkannten Stand des Fachwissens über die Ermittlung des Verkehrswertes zusammenfassen und zu einer Begriffs- und Methodenvereinheitlichung führen sowie die Bewertung in möglichst hohem Grad durchschaubar und nachvollziehbar machen. Für bestimmte Verwaltungszweige wurden diese Liegenschaftsbewertungsrichtlinien per Erlass generell zur Anwendung empfohlen. In diesem Zusammenhang stellte sich der Gesetzgeber die Frage, warum gerade für die Feststellung des Wertes von Liegenschaften und für den dabei in erster Linie in Betracht kommenden Beweis durch Sachverständige ein Bedürfnis nach Schaffung besonderer Regelungen bestehe. Schließlich bestünden ja auch für andere – beispielsweise medizinische oder kraftfahrtechnische – Sachverhaltsfragen und die zu ihrer Lösung einzuholenden Sachverständigengutachten keine staatlichen Sondernormen und dennoch würden dort in der Regel einwandfreie und unbedenkliche Ergebnisse erzielt. Die Begründung für den besonderen Regelungsbedarf bei Liegenschaftsbewertungen sah der Gesetzgeber darin, dass solche Wertermittlungen zwar von exakt erfassbaren Tatsachengrundlagen (wie etwa von Vergleichspreisen, vom Erhaltungszustand der Bauwerke oder vom erzielten Ertrag) ausgehen, dass aber die daraus vorzunehmende Ableitung des Liegenschaftswertes nicht allein durch eine mathematisch genaue, formelhaft vorgezeichnete und einzig gültige Kalkulation geschehen könne. Vielmehr seien von der Bewertungswissenschaft verschiedene Wertermittlungsmethoden entwickelt worden und fließen bei der Anwendung jeder dieser Methoden neben den anzustellenden Berechnungen auch individuelle Einschätzungen und Gewichtungen des Bewertenden ein. Es sei daher notwendig, für die vielfach von einer subjektiven Komponente beeinflussten Wertermittlungsschritte ein objektives, allgemein gültiges Regelungsgerüst als Grundlage und Rahmen zu schaffen. Dabei regelt das LBG die Ermittlung des Wertes von Liegenschaften, Liegenschaftsteilen und Überbauten sowie von damit verbundenen Rechten und Lasten in allen gerichtlichen Verfahren und in jenen durch bundesgesetzliche Verwaltungsvorschriften geregelten Verfahren, denen auf Grund sukzessiver Kompetenz ein gerichtliches Verfahren in der Weise nachfolgen kann, dass mit der Anrufung des Gerichtes der von der Verwaltungsbehörde erlassene Bescheid außer Kraft tritt. Die verpflichtende Anwendung auf sämtliche verwaltungsbehördliche Verfahren wurde hingegen durch den Gesetzgeber ua unter Hinweis auf die zu hohe Komplexität eines Sachverständigenbeweises etwa in Hinblick auf steuerliche Bewertungsvorgänge abgelehnt. Davon unberührt blieb freilich die Möglichkeit der Schaffung entsprechender Verweisungsnormen.

Das LBG sollte vor allem grundsätzliche Regeln für Bewertungen und insbesondere für die Durchführung der Wertermittlungsverfahren und für die Gutachtenserstattung festlegen und die wichtigsten Begriffe bestimmen. Dem Gericht und dem Sachverständigen sollten bei ihrer Bewertungstätigkeit ein möglichst weiten Spielraum gelassen und eine Beschränkung durch nicht allzu enge Normen vermieden werden. Insofern wurde im Verhältnis zum Regelungsinhalt der Realschätzungsordnung von einer „deregulativen“ Regelung gesprochen, zumal die Realschätzungsordnung etwa noch genaueste Anordnungen (etwa für die Auswahl des Sachverständigen oder für die Vorgangsweise bei der Befundaufnahme) enthielt.

Schwerpunkte des LBG sind dabei die Maßgeblichkeit des Verkehrswertes, die Schaffung allgemeiner Regeln für Bewertungen sowie Beschreibung und Regelung der bis dahin von der Bewertungswissenschaft entwickelten Wertermittlungsmethoden (Vergleichswertverfahren, Ertragswertverfahren, Sachwertverfahren). Zu finden sei in jedem Fall der tatsächliche, der „richtige“ Wert; in der Regel ist das der Verkehrswert. Es sollte also keinen Unterschied machen, ob der Liegenschaftswert beispielsweise im Zug der Inventarisierung des Nachlasses im Abhandlungsverfahren, im Enteignungsentschädigungsverfahren, in einem Zivilprozess oder etwa in einem Verfahren zur Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse ermittelt wird. In allen Fällen müsste sich grundsätzlich immer ein und derselbe Wert ergeben (vgl dazu auch RIS-Justiz RS0115307). Davon unberührt bleiben freilich Regelungen der jeweiligen Spezialmaterien, so besteht etwa im ehelichen Aufteilungsverfahren die Möglichkeit, bei der Ausmessung der Ausgleichszahlung weit unterhalb des jeweiligen Liegenschaftswertes oder des entsprechenden Anteils davon zu bleiben. Im Enteignungsrecht sind zum Ausgleich aller vermögensrechtlichen Nachteile des Enteigneten neben dem Verkehrswert des entzogenen Gutes beispielshalber auch noch allfällige „Folgeschäden“ zu berücksichtigen.

Mit Einführung des LBG wurde schließlich auch vom bisher gebräuchlichen Terminus der „Schätzung“ Abstand genommen und durch die Begriffe „Bewertung“ und „Ermittlung des Wertes“ ersetzt. Dadurch sollte der Tätigkeit der Sachverständigen in diesem Bereich das „Odium des ausgestreckten Peildaumens“ genommen werden, welches bereits zur Zeit der Gesetzwerdung keinesfalls den Tatsachen entsprach (vgl GP XVIII, RV333 zu BGBl. Nr. 150/1992).
Anwendungsbereich des LBG:

Das LBG gilt für die Ermittlung des Wertes (Bewertung) von Liegenschaften, Liegenschaftsteilen und Überbauten im Sinn des § 435 ABGB sowie von damit verbundenen Rechten und darauf ruhenden Lasten in allen gerichtlichen Verfahren (§ 1 Abs 1 LBG) sowie in Verfahren auf Grund von bundesgesetzlichen Verwaltungsvorschriften, sofern vorgesehen ist, dass der Bescheid, zu dessen Erlassung der Wert ermittelt wird, mit der Anrufung eines Gerichts außer Kraft tritt, und sofern die Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmen (§ 1 Abs 2 LBG).

Gemäß § 1 Abs 1 LBG erstreckt sich der Anwendungsbereich des Liegenschaftsbewertungsgesetzes zunächst auf die Bewertung von Liegenschaften, von Superädifikaten, von Teilen von Liegenschaften und Superädifikaten und von damit verbundenen Rechten und Lasten in allen gerichtlichen Verfahren. Zu den „Rechten“ im Sinn dieser Gesetzesstelle zählt auch das für ein Grundstück bestellte Baurecht. Vorbehaltlich der ergänzenden Anordnung über den Anwendungsbereich des Gesetzes im zweiten Absatz gelten die entworfenen Regelungen für im Rahmen der Sachverhaltsermittlung durchzuführende Bewertungen in allen gerichtlichen Verfahren. In Betracht kommen vor allem Zivilprozesse, Exekutionsverfahren, Insolvenzverfahren, Verlassenschaftsverfahren, Wertermittlungen im Rahmen von Pflegschaftsverfahren (etwa im Zusammenhang mit Verkäufen von Liegenschaften), Verfahren zur Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, Verfahren zur Festsetzung von Enteignungsentschädigungen und freiwillige Schätzungen und Feilbietungen, aber etwa auch andere außerstreitige Verfahren und Strafverfahren. Umgekehrt folgt aus der Wendung „Dieses Bundesgesetz gilt für die Ermittlung des Wertes (Bewertung) … „, dass die Regelungen des Liegenschaftsbewertungsgesetzes nur dann zum Tragen kommen, wenn eine „Ermittlung des Wertes (Bewertung)“ auch tatsächlich erforderlich ist. Soweit nach besonderen Rechtsvorschriften schon bestimmte Werte – die mit dem tatsächlichen Wert nicht identisch sein müssen – zugrunde zu legen sind, ist das Liegenschaftsbewertungsgesetz sohin nicht anzuwenden. Dies gilt insbesondere auch für den Bereich des § 60 Abs. 2 JN, wonach – unabhängig vom tatsächlichen Wert – als Wert einer grundsteuerpflichtigen Sache jener Betrag anzusehen ist, „welcher als Steuerwert für die Gebührenbemessung in Betracht kommt“ (das ist der Einheitswert; vgl. JBI 1954, 402; EvBI 1986/128). Nach § 1 Abs 2 LBG sind die Regelungen des Liegenschaftsbewertungsgesetzes auch für jene Verwaltungsverfahren, die gerichtlichen Entscheidungen im Rahmen der sogenannten sukzessiven Kompetenz vorgelagert sind (z.B. Festsetzung von Enteignungsentschädigungen), anzuwenden. Durch Schaffung einer einheitlichen normativen Grundlage für die Wertermittlung wird es ermöglicht, dass die Ergebnisse des verwaltungsbehördlichen Verfahrens zumindest in gewissem Ausmaß für das nachfolgende Gerichtsverfahren nutzbar gemacht werden können (vgl GP XVIII, RV333 zu BGBl. Nr. 150/1992).
Der Verkehrswertbegriff des LBG:

Nach dem Bewertungsgrundsatz des § 2 Abs 1 LBG ist, sofern durch Gesetze oder Rechtsgeschäft nichts anderes bestimmt wird, der Verkehrswert der Sache zu ermitteln. In § 2 Abs 2 LBG wird der Verkehrswert als derjenige Preis definiert, der bei einer Veräußerung der Sache üblicherweise im redlichen Geschäftsverkehr für sie erzielt werden kann. (vgl dazu auch § 306 ABGB). Für die Vorgabe einer anderen Größe (anstelle des Verkehrswertes) für die Bewertung kommen neben Gesetzen nicht nur Verträge, sondern auch andere Rechtsgeschäfte, wie etwa letztwillige Anordnungen, in Betracht.

Der Verkehrswert des § 2 Abs 2 LBG ist in seiner Bedeutung gleich mit dem „ordentlichen und gemeinen Preis“ des § 305 ABGB sowie mit dem Begriff des „gemeinen Wertes“ des § 1332 ABGB und jenem des ,,Austauschwertes“ (vgl RIS-Justiz RS0113651; RS0030280). Welcher Ort und welche Zeit im Sinne des § 305 ABGB maßgebend sind, wird durch die Umstände des Falles bestimmt (vgl RIS-Justiz RS0010067). Hingegen ist der Verkehrswert nicht mit dem Vergleichswert (§ 4 LGB) identisch. Dieser Hinweis ist deshalb angebracht, weil die Begriffe Verkehrswert und Vergleichswert häufig unrichtiger weise gleichgesetzt oder verwechselt werden. Von der abgabenrechtlichen Begriffsbestimmung des § 10 Abs 2 Bewertungsgesetz unterscheidet sich diese Definition im Wesentlichen nur dadurch, dass nicht allein auf den gewöhnlichen Geschäftsverkehr, sondern auch noch auf den redlichen Geschäftsverkehr abgestellt wird. Dass ein „außergewöhnlicher“ Geschäftsverkehr bei der Ermittlung des Verkehrswertes außer Betracht zu bleiben hat, wird in der hier vorgeschlagenen Formulierung durch das Wort „üblicherweise“ zum Ausdruck gebracht. Darüber hinaus kann aber nur ein redlicher Geschäftsverkehr (im Sinn des § 914 ABGB) maßgeblich sein, weil bei einer gerichtlichen Wertermittlung unredliche Vorgänge (zum Beispiel betrügerische Veräußerungen oder „Schwarzmarkt-Geschäfte“) nicht als Maßstab herangezogen werden können. Der § 2 Abs 3 LBG stellt zunächst klar, dass die besondere Vorliebe, die einzelne Personen für die Sache hegen, bei der Ermittlung des Verkehrswertes keine Berücksichtigung finden darf. Dies entspricht der im vorangegangenen Absatz gegebenen Definition des Begriffs „Verkehrswert“ und steht auch mit der Unterscheidung des § 305 ABGB zwischen „ordentlichem und gemeinem Preis“ und „außerordentlichem Preis“ in Einklang. Darüber hinaus wird ergänzend zur Begriffsbestimmung vom Verkehrswert ausdrücklich festgehalten, dass auch andere ideelle Wertzumessungen einzelner Personen (als die besondere Vorliebe) außer acht zu lassen sind, so zum Beispiel individuelle negative Einschätzungen ideeller Art. Daraus folgt zweierlei: Zum einen können subjektive Wertzumessungen einzelner Personen durchaus dann in die Ermittlung des Verkehrswertes einfließen,wenn sie sich auf wirtschaftliche Gegebenheiten gründen (etwa weil die Sache für einen bestimmten Interessenten deshalb von besonderem vermögensrechtlichen Interesse ist, weil er sie zu seinem wirtschaftlichen Vorteil besonders günstig in sein sonstiges Vermögen einfügen könnte. Zum anderen bedeutet dies, dass auf ideelle Wertzumessungen allgemeiner Art bei der Erhebung des Verkehrswertes sehr wohl Bedacht zu nehmen ist. Wenn beispielsweise für eine Liegenschaft allgemein (also zumindest vom Großteil der Interessenten) deshalb ein höherer Kaufpreis geboten wird als für eine vergleichbare andere Liegenschaft, weil in dem darauf errichteten Haus in früheren Zeiten ein berühmter Musiker lebte, ist diese allgemeine, im affektiven (ideellen) Bereich begründete Bereitschaft zur Leistung eines höheren Preises bei der Ermittlung des Verkehrswertes entsprechend in Anschlag zubringen Die mit der Ermittlung des Wertes von Liegenschaften befassten Fachleute führten diese Tätigkeit durch Erarbeitung exakter Kriterien und Normen sowie durch Entwicklung überprüfbarer Bewertungsmethoden zu wissenschaftlichem Standard heran (vgl GP XVIII, RV333 zu BGBl. Nr. 150/1992).