Rechtsprechung

RS0018825

Leibrente als Glücksvertrag: Leibrentenverträge sind Glücksverträge. Bei ihnen findet die Einrede der Verletzung über die Hälfte gemäß § 1268 ABGB (grundsätzlich) nicht statt. Ist aber schon im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gewiss, dass der Leibrentenberechtigte bis zu jenem Zeitpunkt, der nach heutiger Sicht der Wissenschaft als absolute Obergrenze für die Dauer eines Menschenlebens anzusehen ist, bei Berücksichtigung aller ihm in diesem Zeitraum zukommenden Leistungen weniger als die Hälfte des Wertes seiner eigenen Leistung erhalten haben wird, dann kann er Verkürzung über die Hälfte geltend machen. Damit kann der Irrtum über den wahren Wert der Übergabsliegenschaft im Rahmen der Verkürzung über die Hälfte aufgegriffen werden: Liegt ein Irrtum der Vertragspartner des Leibrentenvertrages in der Bewertung der Übergabsliegenschaft vor, dann kann folglich unter Zugrundelegung des maximal erreichbaren Lebensalters der Übergeberin Verkürzung über die Hälfte geltend gemacht werden. Als zeitliche Obergrenze ist die mögliche Lebenserwartung der österreichischen Bevölkerung anzunehmen, wobei singuläre Ausnahmen unberücksichtigt zu bleiben haben. Unmaßgeblich ist die „durchschnittliche Lebenserwartung“. Hiezu ist es erforderlich, die mögliche Lebenserwartung der österreichischen Bevölkerung etwa durch Anfrage an das österreichische Statistische Zentralamt unter Ausschaltung vereinzelt gebliebener Höchstlebensalter zu ermitteln. Bei eingeschränktem Gesundheitszustand der Übergeberin (bspw nach Schlaganfall) ist auf ihre konkrete Lebenserwartung abzustellen. Daneben ist die Anfechtbarkeit aleatorischer Verträge wegen Wuchers und wegen Sittenwidrigkeit anerkannt.

Rechtssatz:

Leibrentenverträge sind Glücksverträge. Bei ihnen findet die Einrede der Verletzung über die Hälfte gemäß § 1268 ABGB nicht statt.

Gericht:
OGH
Geschäftszahl:
3Ob11/60; 14Ob176/86 (14Ob177/86); 8Ob604/86; 7Ob620/87; 7Ob581/89; 8Ob684/89; 7Ob729/89; 10Ob501/93; 8Ob562/93; 1Ob515/94; 2Ob584/94; 5Ob521/95; 6Ob2217/96i; 8Ob2177/96x; 1Ob2342/96k; 3Ob8/98t; 2Ob45/99b; 9Ob134/00x; 4Ob147/01y; 2Ob210/13s
Entscheidung:
09.11.1960
Norm:
ABGB §934
ABGB §1268
ABGB §1284 Ba

Entscheidungstexte