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Allgemeine Information


Der Kunstmarkt und sein gerechter Preis


Epikur (341 – 271 v. Chr.) vertrat in seinem zentralen 33. Lehrsatz zur Gerechtigkeit folgendes: „Gerechtigkeit ist nicht etwas an und für sich Seiendes, sondern ein im Umgang miteinander an jeweils beliebigen Orten abgeschlossener Vertrag, einander nicht zu schädigen und nicht geschädigt zu werden.“1 Man muss voraussetzen, dass die Beteiligten im Kunstmarkt heute sich dieser Gerechtigkeit bewusst sind.

Der „Alte Meister“ und sein Wert

Zuerst war es die knisternde Spannung bei den Steigerungen im Auktionssaal, dann der Zuschlag des Auktionators von seinem Podium aus – 6.100.000 Euro, eine Sensation und das in Wien! Es war der höchste Preis für ein Altmeistergemälde von Frans Francken II (1581 – 1642), der am Europäischen Kontinent jemals erzielt wurde und noch dazu mit dem zugewiesenen Titel „Der Mensch, der sich zwischen Tugenden und Lastern entscheiden muss“ der ja bestens in die Zeit unserer Wirtschaftskrise passt.2
Spannend erweist sich die Hintergrundgeschichte, die sich als ein gutes Beispiel für die Entwicklung eines Höchstpreises darstellen lässt. Begonnen hat die Erfolgsgeschichte in einer Privatsammlung in Berlin. Man hatte sich zum Verkauf einiger Gemälde aus Familienbesitz entschlossen. Die Gespräche mit dem Experten des Wiener Auktionshauses verliefen gut: Es sollten mindestens € 50.000 erzielt werden und rasch war man sich über Details einig.
In Wien erwies sich schließlich der geforderte Preis als doch zu niedrig und die Experten entschlossen sich das Gemälde mit einer Schätzung von € 400/500.000 im April 2010 ins Rennen zu schicken.
Eigentlich war die preisliche Vorstellung der Verkäufer, die sich an den letzten Ergebnissen für Frans Francken orientierte gar nicht so falsch, denn über 450 Werke dieses Künstlers wurden in den letzten Jahren in verschiedenen Auktionen verkauft oder auch nicht verkauft.3 Die Ergebnisse lagen zwischen € 5000 und € 560.000, nur ein einziges Mal wurde die Million überschritten.4 Wenn man verkaufen will, sollte ein günstiger Startpreis mehrere Käufer am Auktionstag zum Mitsteigern motivieren. Die Experten erkannten aber ihre Chance im verunsicherten wirtschaftlichen Umfeld Europas eine charismatische Darstellung des „Gut und Böse“ Themas eines vor 370 Jahren verstorbenen Künstlers zu emotionalisieren. Zur Schaustellung erschien zu einem Stelldichein die illustre Gesellschaft der Kuratoren verschiedener Museen, Sammler und Kunsthändler im Wiener Auktionshaus. Bald hörte man vom Interesse eines Sammlers mit großer Kapitalkraft, dann eine diskrete Anfrage eines Museums und ständiges Gemurmel der spezialisierten Kunsthändler. Das Auktionshaus als Vermittler des Gemäldes nützte geschickt das große Interesse und verkündigte die Konkurrenz vieler Bieter am Auktionstag. An diesem Tag waren sie alle wieder da – im Saal oder am Telefon: Die Schlacht um das Kunstwerk konnte beginnen. Ein Händlerkonsortium hatte sich gebildet und stemmte sich gegen das Museum, den Sammler und zuletzt gegen einen Kunstberater aus dem Osten Europas. Die Kunsthändler blieben erfolgreich und versuchten sofort Kassa zu machen und boten das erstandene Werk an die unterlegenen Museen zum Kauf an – was aber misslang. 10 Monate später war das Gemälde, nun fein säuberlich restauriert, auf der wichtigsten Kunstmesse der Welt, in Maastricht, wohlfeil zu erwerben.5 Ein Londoner Altmeisterhändler bot das Gemälde für zehn Millionen Euro an und besitzt es noch immer. Lotterie-Gewinn oder astronomischer Verlust – auf dem Kunstmarkt ist alles möglich, berichtete die Presse vom 19.3.2011.

 

Das Boudoir der Schauspielerin Jenny Groß

Dieses Interieur stammt aus der Privatvilla der Schauspielerin Jenny Groß (1863-1904) in Bad Ischl. Dorthin zog sich die Künstlerin mit typisch österreichischem Schicksal – in Ungarn geboren, in Wien aufgewachsen und ausgebildet, im Ausland Erfolge gefeiert –gerne kam sie in ihre Heimat – zurück.

Nicht nur durch ihre Engagements am Berliner Theater, sondern auch durch ihre Schönheit, ihr Auftreten, den Reichtum ihrer Kleidung und ihren Schmuck wurde Jenny Groß eine schillernde Persönlichkeit der Berliner Gesellschaft. Trotzdem blieb sie ihrer Heimat verbunden, reiste regelmäßig nach Wien und erwarb 1902 in Bad Ischl eine Villa, die sie von der Wiener Möbelfirma Portois & Fix einrichten ließ.6

Die Wahl dieser für beste Qualität bekannten Firma war sicher kein Zufall. Portois & Fix setzte sich mit den Strömungen der Jahrhundertwende auseinander, arbeitete mit Architekten wie Otto Wagner, Max Fabiani, Kolo Moser, Josef Hoffmann und Leopold Bauer zusammen und leistete einen wesentlichen Beitrag zum Durchbruch der Moderne in Wien. Schon auf der Pariser Weltausstellung 1900 zeigten die Einrichtungen von Portois & Fix den Einfluss der beginnenden Moderne. Die Wiener Sezession gab dem Unternehmen weitere Gelegenheiten zur Präsentation der modernen Tendenzen.
Die Einrichtung in Bad Ischl umfasste unter anderem Schlafzimmermöbel wie ein für die damalige Zeit übergroßes Bett, Fauteuils, Tischchen, einen Paravent, eine Liege, einen Schminktisch und Wandvertäfelungen mit zahlreichen Schränken, die der Aufbewahrung der umfangreichen Garderobe der Schauspielerin dienten. Mit diesem Interieur bewies Jenny Gross, dass ihr Geschmack auch im Einrichtungsbereich Vorbild gebend war. Neben ihrer schauspielerischen Leistung machte sie vor allem durch ihre außergewöhnliche Garderobe auf sich aufmerksam:
„In Berlin machte Jenny Groß nicht nur der Wiener Schauspielkunst alle Ehre, sondern sie war auch eine glänzende Vertreterin des Wiener Chics und der Wiener Frauenschönheit. Das vortreffliche Spiel der Künstlerin fand wirksamste Förderung durch ihre prächtigen äußeren Mittel. Jenny Groß war eine reizvolle Bühnenerscheinung von hoher, schlanker Figur. Aus ihren hellen schönen Augen sprühten Feuer und Temperament, üppiges blondes Haar in seltener Fülle schmückte das liebliche Antlitz. Jenny Groß galt als Modekönigin in Berlin. Das Fach der Salondamen gab ihr reichlich Gelegenheit zur Entfaltung eines großen Toilettenluxus. Die Künstlerin bekundete in ihren Bühnenroben, die oft die Sensation der Damenwelt und deren Gesprächsstoff bildeten, feinen Geschmack, sie selbst gab der Schneiderin bei der Wahl und Facon der Kleidungsstücke alle Details. Persönlich war sie von schlichter, gewinnender Natürlichkeit. Sie hatte im Privatleben durchaus nichts Komödien- haftes an sich; sie besaß Verstand und Mutterwitz…“7 „Ihre Schönheit war es auch, die ihr neben dem Reichtum der Toiletten, in erster Linie den Sieg errang, ihr Talent war weniger bedeutend.“8
Dieses beschriebene Schlafzimmer der Jenny Groß wurde im November 2006 auf der Kunst & Antiquitätenmesse in der Wiener Hofburg präsentiert und in eine Schweizer Sammlung um einen namhaften Betrag verkauft.9 Es widersprach dabei dem allgemeinen Trend im österreichischen Kunstmarkt, dass Schlafzimmer sich als unverkäuflich erweisen.

Doch wie war dieses Boudoir in den Kunstmarkt gelangt? Nach dem frühen Tod der Künstlerin lebte deren Schwester bis in die späten 1920er Jahre alleine in dem prächtigen Haus in Bad Ischl. Danach wurde die Villa samt Inneneinrichtung an einen Schweizer Geschäftsmann verkauft, der wiederum einen österreichischen Industriekapitän in den Fünfziger Jahren als neuen Käufer fand. Dessen Erben versuchten nun das Mobiliar und Haus zu verkaufen. Zu dem Preis der Realität wurde noch eine stattliche Summe für das Mobiliar von Portois & Fix veranschlagt. Das Boudoir erwies sich bei vielen Interessenten als Verkaufshindernis, da es einen Raum von 70 m2 einnahm und so ein ganzes Stockwerk prägte. Der endlich gefundene Käufer bestand auf die Entfernung des Schlafzimmers und kaufte sodann den prächtigen Besitz. So nahm das Zimmer seine Wanderung auf: ein Informant gab den Tipp an einen Antiquitätengroßhändler weiter und dieser verkaufte das Ensemble an den spezialisierten Kunsthandel. Zu den Möbeln wurde ein vorhandenes Foto der Künstlerin Jenny Groß mitgereicht.10 Dieses zeigt deutlich die Exzentrik von Jenny Groß als Künstlerin und Persönlichkeit.

 

Gerhard Richters ( * 1932) Gemälde „ Kerze“

Gerhard Richter begann seine malerische Praxis im Westen mit einer kurzen Phase, in der er praktisch alle aktuellen Ausdrucksformen und Stile der modernen Malerei erprobte. Es handelt sich um Werke, die Richter, wie er selbst berichtet, später im Innenhof der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf verbrannte.11

Der aus Dresden stammende Gerhard Richter, der in den Westen geflüchtet war, war für seine enge Zusammenarbeit mit anderen Künstlern bekannt. Deren Einfluss hatte Auswirkungen auf seine künstlerischen Positionen. So kooperierte Richter während der ersten Hälfte der 1960er Jahre in gemeinsamen Ausstellungen mit bedeutenden deutschen Künstlerkollegen und reflektierte die westliche Konsumgesellschaft kritisch. 1968 führte er mit Günther Uecker eine Aktion in der Kunsthalle Baden-Baden durch. Das Gebäude wurde besetzt und Uecker erklärte: „Auch Museen können Wohnorte sein.“

1982 entstand sein Gemälde „Kerze“, das ein Jahr später im Kunstmuseum Düsseldorf ausgestellt wurde. Mehrere Gemälde dieses Themas waren auch in einer Galerie ausgestellt und wurden dort zwischen 12000 und 25000 Mark zum Kauf angeboten. Jetzt erzielte eines aus dieser Werkgruppe € 10.600.000.12 Die Gesamtsumme der in Auktionen verkauften Werke des Künstlers belief sich im Jahr 2010 auf € 50.000.000.13 Die lapidare Antwort des Künstlers auf die Frage was er zu diesen Preisen meine: „das ist genauso absurd wie die Bankenkrise- unverständlich, albern, unangenehm.“14

 

Göttliche Funken in der Kunst

Frans Franken II setze sich in seinem künstlerischen Schaffen mit vielen religiösen Themen auseinander und stellte diese in seinen Kompositionen dar. Selten strahlen religiöse Motive eines alten Meisters so in die Jetztzeit und wirken durch ihre Aktualität erfrischend im heutigen Leben. Das Tugend/Laster Gemälde wirkt einerseits moralisierend (Tugend), aber auch verführerisch (Laster). Waren bei der Schaustellung im Auktionshaus noch die Argumente der Marktfrische, des Motivs und der Qualität der künstlerischen Umsetzung ein Thema, verlor die hohe Ästhetik im Augenblick der Auktion gegen die Gier und Macht der Interessenten.

Der in der Entstehung notwendige Akt der künstlerischen Inspiration, den Frans Franken II ausschöpfte und grandios umsetzte, war Teil seines Wollens in der Gestaltung zu diesem Werk – ein Moment gleichsam eines göttliche Funkens. Eigentlich wurde dieser im Jahr 2010 gegen eine unglaubliche Geldsumme ausgetauscht.

Das Schlafzimmer der Jenny Gross, das in ihrer künstlerischen Eigeninszenierung Zentrum ihres neuen Hauses in Bad Ischl war, könnte uns amüsante Momente erzählen. Geschichten von Roben, Geschmeide aber auch von Verführung und Liebe. Da drängt sich wieder der Gedanke zum göttlichen Funken auf und greift auf die im menschlichen Leben treibende Sexualität zurück. Der Gedanke an eine schöne Frau, die in ihrem Leben alles erreicht hat – Macht, Ansehen, Geld und die Anerkennung der männlichen Verehrer. Das ist die Entstehungsursache zu diesem Schlafgemach, das der Künstlerin nur wenige Jahre für ihre verführerischen Ideen diente. Abgesehen von der Qualität der Ausführung durch die Firma Portois & Fix, die damals an die 1000 Mitarbeiter beschäftigte, war die mit den Möbeln verbundene Geschichte ausschlaggebend für den erfolgreichen Verkauf und die Wertschätzung durch den Schweizer Sammler.
Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht.15 Sollte dieser Text als göttlicher Funke Gerhard Richter bei der Entstehung seines Werks „ Kerze“ beeinflusst haben? In erster Linie dient die gemalte Kerze der Inszenierung von Hell und Dunkel. Aber sie hat auch eine hintergründige Bedeutung: sie ist Vanitas-Symbol. Die Vanitas-Motive zeigen, dass der Mensch keine Gewalt über das Leben hat.16 Am auffälligsten sind Bilder des Vergangenen und des Vergehenden wie Schädel oder Sanduhr oder in unserem Fall die brennende Kerze. Wollte somit der amerikanische Sammler, der bereit war die astronomische Summe Geldes zu bezahlen, die menschliche Schwäche und Vergänglichkeit überwinden?

Die drei beschriebenen Beispiele zeigen, dass die Entstehung des Wertes der Kunst nicht rational nachzuvollziehen ist. Der Kauf in Sachen Kunst geht davon aus, dass unbewusste psychische Prozesse das menschliche Handeln, Denken und Fühlen entscheidend beeinflussen. So könnte ein Sammler dadurch motiviert sein Artefakte zusammenzutragen, die alle den göttlichen Funken in sich tragen. Dies könnte somit den damit befassten Menschen, allein schon aus dem Anspruch des Besitzes dieser Objekte, in eine höhere Seinsebene führen. Gegen Ende des Lebens kann dann dieser Connaisseur frei entscheiden, welche Kunstwerke aus seiner Sicht diese hohe Wertigkeit verloren haben. Er wird sie dem Kunstmarkt zuführen und gegen Geld tauschen, um wieder ein Kunstwerk, an dem er den göttlichen Funken verspürt, zu erwerben. Damit wird ein Kreislauf bedient, der Kunst vom Markt verschwinden lässt und nach langer Zeit vielleicht mit dem Attribut marktfrisch wieder erscheinen lässt. Versäumt der Besitzer diesen Moment des Handelns, so werden im Ablebensfall die Erben mit den gesammelten Objekten konfrontiert. Experten, Sachverständige, Akquisiteure für Auktionen und Kunsthändler sind schnell vor Ort. Wieder beginnt eine Neubewertung der Kunst im beginnenden Kreislauf des Kunstmarktes. Oft sind die Umstände wie Zeitgeist und Interesse an dem Kunstwerk verändert und führen so zu neuen Preisbeurteilungen. Der meist lange Jahre zurückliegende Anschaffungspreis des Sammlers spielt keine Rolle mehr – es gelten die Gesetze des Angebots und der Nachfrage. So tritt ein Sammler ab und die Erben geben seine Schätze für neue Käuferschichten frei.

Diese erwerben Kunstwerke fast ausschließlich zu Repräsentations- und Investitionszwecken, denn in diesen Kreisen wirkt die bürgerliche Denkform: „Man ist, was man hat“.17

 

Die feine Jagdgesellschaft

Es sind die Kuratoren der Museen, die Ankäufe am Kunstmarkt ihren Direktionen vorschlagen. Diese Erwerbungen sollen Lücken des Bestandes füllen oder zu projektierten Ausstellungsthemen passen. Ankaufbudgets oder das Geld von Mäzenen, die der Institution gut gesinnt sind, werden gut verwaltet und sicher platziert. Sollte das Museum nicht entscheiden, wandeln sich Mäzene oft zu Sammlern, die gerne später die Rolle des Leihgebers in der Ausstellung des Museums bei Bedarf einnehmen. Kunstberater informieren ihre betuchte Kundschaft und nützen den Wissensvorsprung. Die Kunsthändler jagen mit sicherer Hand, eigenem Kapital und der Fähigkeit zu schneller Entscheidung. Der Auktionator ist Mittler zwischen den Parteien und handelt im Auftrag des Verkäufers. Da soll maximaler Preis in kürzester Zeit in einer Auktion erzielt werden. Ist das geschehen, erklärt der Auktionator den Erfolg der Presse und spricht über die Zufriedenheit aller Beteiligten. Der ehemalige Besitzer freut sich über den guten Verkauf, die Käufer über das erstandene Kunstwerk und der vermittelnde Auktionator über seine Provision. Doch so harmonisch ist die Jagdgesellschaft nicht. Missgunst, Neid und gekränkter Stolz lassen die Gerüchteküche kochen und manch ein gerade erstandenes Kunstwerk wird mit dem Attribut „überteuert“ oder „nicht gesichert“ ausgestattet.“ Das Phänomen der Überzahlung wird in der Spieltheorie winner ́s curse, des Siegers Fluch genannt“ schreibt Piroschka Dossi.18 Oft entstehen Feindschaften, die sich anhand eines verdorbenen Geschäftes entzünden und Fehden zwischen allen Beteiligten hervorrufen.
Gleichzeitig sind die Akteure am Kunstmarkt seit einigen Jahren mit einer neuen Käufergruppe konfrontiert, die sich aus ihrer monetären Kapitalkraft tatkräftig in den Markt einmischt. Es ist die Gruppe der kommerziell erfolgreichen Gewinner der Globalisierung und der Finanzwelt. Ihr Zugang ist der Geruch nach Gewinn und sozialem Ansehen.
Rasch verknüpfen sie erstandene Kunst mit neuen Geschäftsideen. So kann es sein, dass sie sogar Gemälde als Sicherheit zu Bauprojekten hinterlegen. Dadurch entsteht die Bereitschaft frisches Geld in den Kunstmarkt zu spülen und das oft ohne persönliches Interesse an dem erworbenen Kunstwerk. Die Jagd nach außerordentlicher Kunst hat so eine Dimension erreicht, die die Nutznießer in Jubel ausbrechen lassen. Connaisseure hingegen wenden sich verbittert ab und verlassen sich auf ihren Kennerblick und ihr Nischenwissen.

 

Retouren und Fälschungen

Ein Teil der in den Auktionen zugeschlagenen Verkäufe kann nicht realisiert werden. Hier sind verschiedene Ursachen ausschlaggebend: Beim Käufer bricht Lustlosigkeit nach dem Erhalt der Rechnung aus – der erstandene Gegenstand entspricht nicht den beschriebenen Details – die Originalität wird angezweifelt. Käufer aus fernen Ländern, die ihren Erwerb als überteuert empfinden, bezahlen einfach die gestellte Rechnung zum erworbenen Kunstwerk nicht und meiden in Zukunft ihre Ankaufsadresse. Viele Gründe können so das eigentlich gute Geschäft zu Nichte machen und diskret wird der Kauf rück abgewickelt. Dies geht zu Lasten der Kunstobjekte, da der Informationsfluss unter den Beteiligten unterbrochen wird und Stillschweigen das notwendige Wissen verdrängt. So bleibt manch Kunstwerk zwischen den Meinungen der Experten, Kustoden, Händlern und Auktionatoren hängen und kehrt mit dem Prädikat „unverkäuflich“ zu seinen Besitzern zurück. Der verdutzte Eigentümer verspürt den Rufmord an seinem Besitz und bemüht Kunstsachverständige und Experten zur Beruhigung der Lage. Diese geben Hilfestellungen, die kaum die Situation des Kunstwerkes im Markt verbessert. Letztendlich verschwindet das Objekt in Lagern und Depots und wartet auf bessere Zeiten.

Doch der eigentliche Teufel am Kunstmarkt ist die Fälschung, die alles in Frage stellt und den Preis des Objektes auf seinen Materialwert reduziert. Dort wo sie den Elfenbeinturm der Wissenden betritt, richtet sie Verwüstung und Chaos an. Übrig bleibt der Besitzer, der seinen Schatz verloren hat. Neben der Irritation und Verunsicherung muss er die Täuschung zur Kenntnis nehmen. Hatte er beim Erwerb noch auf das Expertenwissen durch den Verkäufer vertraut, sieht er sich einer mühsamen Beweissicherung gegenüber, die langwierig und kostenintensiv ist. Verdorben ist die Freude am Kunstwerk und am lustvollen Kaufen. Manch potentieller Kunstfreund hat sich so aus dem Kunstmarkt zurückgezogen und überlässt der feinen Jagdgesellschaft das gefährliche Terrain.

Denn Fälscher beobachten den Kunstmarkt genau und arbeiten dort zu, wo durch die Verknappung der Ware die Preise in schwindelerregende Höhen getrieben werden. Da gelingt es immer wieder ihre gefälschten Kleinodien abzusetzen. Denn wie warnt schon Hermann Bahr: „Eine Fälschung unterscheidet sich vom Original dadurch, dass sie schöner ist“19

 

Kriterien mit Wirkung auf den Preis

Die ständige Jagd nach außergewöhnlicher Kunst und kunsthandwerklichen Werken prägen das Geschehen im Kunstmarkt. Der Zeitdruck für die Jagdgesellschaft wird immer größer, die ständig gesuchten Objekte tauchen seltener auf und die Preise für gefundene Raritäten lassen jede vernünftige Wertgrenze hinter sich. Wie im Taumel bewegt sich die Kunst im globalen Markt und in Nanosekunden werden Informationen zur auftauchenden Neuentdeckungen durch den digitalen Raum gejagt. Ausstellungen in Museen, Auktionen und Messen bedienen den hungrigen Markt mit Informationen und Katalogen. Experten und Kunsthistoriker beurteilen in hektischer Routine, um termingerecht ihre Aufgaben zu erfüllen. Alle sind sich der Gefahr bewusst, dass mit diesem Zeitdruck die Qualität im Umgang mit der Kunst auf der Strecke bleiben kann. 2006 wurde mit Hilfe des Zentrums für Innovation und Technologie20, einem Förderinstrument der Stadt Wien für innovative Unternehmen, die Qualitätssicherung „Certificate-Card. Begleitpass für Antiquitäten und Kunstgegenstände“ 21in Wien entwickelt. Dieser Begleitpass beinhaltet Beschreibungen, Fotografien und Dokumente zum Objekt. Weiters die Ergebnisse von kunsthistorischen Recherchen und vergleichenden Untersuchungen, die speziell die Bestätigung der Erkenntnisse zu dem untersuchten Werk dokumentieren sollen und letzten Endes die Echtheit zukünftig beweisen sollen.
Einen besonderen Stellenwert nimmt die optische Untersuchung ein, die wesentliche Erkenntnisse in den Vergleichen zukünftiger Objekte bringt. Somit wird der Sicherung der Originalität besonderes Augenmerk geschenkt. All die Erkenntnisse sind in dem Dokument notiert und werden dem Objekt beigelegt. Basis zur Erstellung des Begleitpasses ist ein Kriterienkatalog der die Merkmale und Besonderheiten zum Objekt abfragt. So erhält das Kunstwerk schriftlich dokumentierte Sicherheitsmerkmale, die nun das Objekt in seinem Lebenslauf weiter begleiten sollen.
In den darauffolgenden Jahren ist der Kriterienkatalog zusätzlich in dem Projekt Design Tradition zur Anwendung gekommen und ist dort noch mit einer numerischen Bewertung in den einzelnen Punkten ergänzt worden.22 Drei Kunstsachverständige haben dieses System erarbeitet, das nunmehr in Sachen historischem Design zur Verfügung steht. Das Ergebnis ist nun eine Bewertung eines Gegenstandes mit Hilfe der Befragungsliste und einer summierten Gesamtpunktezahl. Als Neuerung kann realisiert werden, dass mit einer hohen Punkteanzahl auch ein höherer Preis, als vor der Anwendung des Kriterienkatalogs, für das Objekt erzielt werden kann.

 

Der Weg zum gerechten Preis

„Ein Preis ist letztendlich dann realistisch, wenn er einen realen Käufer findet. Also ist jeder Betrag, der verlangt und bezahlt wurde, von einer gewissen Legitimation begleitet. Diese Annahme der Legitimation nivelliert alle Verkäufer, egal ob sie zu viel oder zu wenig verlangen“ schreibt Jacqueline Nowikovsky.23 Das kann man erstaunt zur Kenntnis nehmen und hilft wenig bei der Preisbeurteilung im Kunstmarkt. Nunmehr haben sich Revolutionäre in den Kunstmarkt gedrängt, die von der Idee beflügelt sind Daten zu Auktionsergebnissen zu sammeln. Diese Werke werden mit den Künstlernamen in übersichtlichen Datenbanken gespeichert und können kostenpflichtig nach dem Preis abgefragt werden.24 Dazu gibt es Preisindexe, Diagramme, Jahresumsätze und verkauft/unverkauft Status zu den einzelnen Künstlern.

Abgesehen von etlichen möglichen Fehlerquellen bei der Erfassung der Daten, die mit kritischen Bemerkungen aufgezeigt wurden, musste der Kunstmarkt mit Staunen die neuen Zahlen zu Preisen zur Kenntnis nehmen. Haupteffekt ist die Möglichkeit, auch als Einsteiger, sich ein Bild von der preislichen Entwicklung eines Kunstwerkes und dessen Künstler zu machen. Grundsätzlich ist es durch die Datenbanken gelungen den Kunstmarkt transparenter und verständlicher zu machen.
Um zu einem gerechten Preis zu kommen, konnten nun verschiedene Werkzeuge, die bei der vorbereiteten Preisfindung eines Kunstwerkes zur Anwendung kommen, gefunden werden. Kriterienkatalog, Preisdatenbank, die Einschätzung der vermeintlichen Konkurrenz aus der feinen Jagdgesellschaft können nun beim Kunstkauf beachtet werden. Die Auktionen, die das Spiel zum emotionalen Kauf beherrschen, nehmen jetzt eine zentrale Stellung in der Warenbeschaffung und Preisobjektivierung ein.
Ob im Auktionssaal, auf Kunstmessen oder im Kunsthandel sind diese Erkenntnisse und Methoden hilfreich und verlässlich. So hat man bald seine Erfahrungen gesammelt und Vertrauen im Umgang mit Kunst und Antiquitäten aufgebaut. Man verlässt sich auf den Vermittler und hofft auf einen gerechten Preis für die Kunst. Trotzdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass man sich auf gefährlichem Terrain befindet und die Gefahren für den Neueinsteiger groß sind. Tugend und Laster liegen eng beieinander und es führt ein schmaler Grad in den Elfenbeinturm der Wissenden. Darum empfiehlt der Kunstexperte jeder am Kauf von Kunstwerken interessierten Person eine Begleitstrategie. Sinnvoll erweist sich die Betreuung durch einen Kunstsachverständigen zum Aufbau einer Sammlung. Das verhindert Fehlkäufe und gibt Schutz vor Fälschungen, welche beide die Gefahr des monetären Verlustes in sich tragen vor. Trotzdem wird jeder Kunstkäufer mit einer gewissen Überraschung den gerechten Preis kennenlernen, der sich oft als ziemlich hoch zu erkennen gibt, denn: „Die Freude am Besitz von Kunst muss so grenzenlos sein, da beim Kunsterwerb nicht der größte Reichtum gewinnt, sondern die Bereitschaft diesen Reichtum auch einzusetzen“25.

Autor: Patrick Kovacs

Seit 1976 beschäftigt sich Patrick Kovacs mit der Geschichte des „Wiener Möbels 1800 -1960“. Die Teilnahme an einem Innovationswettbewerb 2006 bringt einen neuen Umgang mit Antiquitäten mit sich. Der in dem Verfahren entwickelte Kriterienkatalog zur Künstlerpersönlichkeit, Produzenten, Material, Qualität, Provenienz und Bedeutung im Kunstmarkt schafft eine neue Qualität in der Erstellung von Expertisen. In Zusammenarbeit mit dem Bundesmobiliendepot sind das Inventar des Schlosses Hernstein, die Möbel der Postsparkasse, des Parlaments und Skulpturen des Heldenbergs bewertet worden. Seit 1993 als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger der FG 78/35, Kunst, Antiquitäten (Produktion, Verwertung, Handel) angelobt und seit 2000 steht Patrick Kovacs als Vorstandsmitglied dem Landesverbandes Wien, Niederösterreich und Burgenland zur Verfügung.

Fußnoten:

1 (kyriai doxai) Epikur 33. Lehrsatz
2 Pressebericht Dorotheum, Wien – 29.04.2010
3 Art Price – Frans Francken II, Ergebnisübersicht
4 17.12.1999 Auktion Christies, London
5 TEFAF (The European Fine Art Fair) Maastricht 2011
6 Pariser Esprit und Wiener Moderne, Die Firma Portois & Fix, Hrg. Wenzl Bachmayer, Wien 2008
7 Nachruf im Ischler Wochenblatt, Nr. 20, Beilage S. 3, 15.5.1904.
8 Theater-Almanach 1904.
9 Certificate Card, Kunsthandel Patrick Kovacs, Wien 2006, Abb. 18, S 56
10 Originalfoto Jenny Gross aus Bad Ischl
11 de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Richter
12 Sotheby`s – 14.10.2011
13 Artprice – 2010
14 Teletext ORF– 16.10.2011 S. 191
15 Alte Testament, Mose 3
16 Uli Wunderlich, Der Tanz in den Tod, Eulen Verlag 2oo1
17 Zembylas, Kunst oder Nichtkunst, Universitätsverlag , Wien 1997, S. 87
18 Piroschka Dossi, Hype! Kunst und Geld, DTV, München 2007.S. 137
19 Hermann Bahr – Neue Wiener Tagblatt
20 ZIT –Zentrum für Innovation und Technologie, Wien
21 Patrick Kovacs, Wien 2007 – Certificate – Card
22 Design Tradition – Arge Wien 2008, Patrick Kovacs, Markus Pernhaupt, Harald Bichler
23 Jacqueline Nowikovsky, 100.000.000? Der Wert der Kunst, Czernin Verlag, Wien 2011
24 Artprice.com, Artnet.com
25 Jacqueline Nowikovsky


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