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RECHTSPRECHUNG


G97/88


Die Freiheit der Kunst ist als Menschenrecht auch Ausländern gewährleistet. Es handelt sich um ein absolutes, nicht durch einen Gesetzesvorbehalt eingeschränktes Grundrecht. Der Gesetzgeber darf daher in die Freiheit der Kunst nicht in einer Weise eingreifen, die sich direkt und beabsichtigt gegen das Grundrecht richtet. Allerdings bestehen sogenannte „immanente Grundrechtsschranken“, was bedeutet, dass der Künstler in seinem Schaffen an allgemeine Gesetze gebunden ist; gesetzliche Eingriffe in die Kunstfreiheit sind zulässig, wenn sie zum Schutz eines anderen Rechtsgutes erforderlich und verhältnismäßig sind.


Rechtssatz:

Beschwerde gegen Bescheide des Landesarbeitsamtes (Versagung von Arbeitsbewilligungen für ausländische Künstler). Der beschwerdeführende Verein "Wiener Kammeroper", dem als Arbeitgeber in den abgeführten Verwaltungsverfahren Parteistellung zukam, ist zur Erhebung der Beschwerde jedenfalls legitimiert. Da gemäß §20 Abs3 AuslBG gegen Berufungsbescheide des Landesarbeitsamtes eine weitere Berufung nicht zulässig ist, ist der Instanzenzug erschöpft. Die Beschwerde ist auch zulässig, soweit sie von den betroffenen ausländischen Opernsängern erhoben wurde. Gemäß §21 AuslBG haben Ausländer ua. in allen Verfahren, in denen ihre persönlichen Umstände für die Entscheidung maßgeblich sind, Parteistellung. Ein derartiger Fall liegt in den der Anlaßbeschwerde zugrundeliegenden Verfahren mit Rücksicht auf deren Verfahrenskonstellation vor. Die Parteistellung der betroffenen Ausländer im Verwaltungsverfahren bewirkt ihre Legitimation zur Beschwerdeerhebung beim Verfassungsgerichtshof. Prüfung der lita) und b) in §3 Abs4 AuslBG aus Anlaß der Versagung von Arbeitsbewilligungen für ausländische Künstler. Die belangte Behörde hat ihre die Erteilung einer Bewilligung ablehnenden Bescheide materiell auf §4 Abs3 Z11 AuslBG gestützt. Zur Beantwortung der Frage, ob eine solche Entscheidung überhaupt erforderlich und zulässig ist, scheint die Behörde aber auch die Bestimmungen über den Geltungsbereich der Regel über die Bewilligungspflicht angewendet zu haben, darunter insbesondere die in Prüfung gezogene Bestimmung, die künstlerische Tätigkeiten unter gewissen Voraussetzungen von der Bewilligungspflicht ausnimmt und bloß eine Anzeigepflicht statuiert. Auch der Verfassungsgerichtshof hat bei der verfassungsrechtlichen Würdigung der angefochtenen Bescheide diese Bestimmung anzuwenden. Absolutes Grundrecht, Menschenrecht, Intentionalität Gemäß Art17a StGG (idF BGBl. 262/1982) sind das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre frei. Träger der durch dieses Grundrecht eingeräumten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte kann auch ein Ausländer sein. Seinem klaren Wortlaut nach ist das durch Art17a StGG eingeräumte Menschenrecht ein sogenanntes absolutes, also nicht durch ausdrücklich Gesetzesvorbehalt eingeschränktes Grundrecht. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Judikatur zu derartigen absoluten Grundrechten erkannt hat (vgl. die im Einleitungsbeschluß zitierten Erkenntnisse zu Art17 StGG) und wie auch in der Literatur - ungeachtet der mitunter vorgebrachten Kritik an der als zu restriktiv angesehenen Judikatur - anerkannt ist (vgl. Pernthaler, Raumordnung und Verfassung II, 1978, 258 f.; Potacs, ZfV 1986, 9 f. und speziell für die Wissenschaftsfreiheit Spielbüchler, EuGRZ 1981, 677), bindet ein derartiges Grundrecht zunächst den einfachen Gesetzgeber insoweit, als dieser nicht in die grundrechtlich verbürgte Freiheitssphäre in einer Weise eingreifen darf, die sich direkt und intentional gegen den grundrechtlich verbürgten Anspruch richtet. "Allgemeine Gesetze", Auswirkungen, Verhältnismäßigkeit Das Grundrecht der Freiheit der Kunst erschöpft sich freilich nicht in dem Verbot intentionaler Eingriffe durch den einfachen Gesetzgeber, verschafft aber dem Künstler für seine Betätigung auch keinen Freibrief, denn der Künstler bleibt in seinem Schaffen an die allgemeinen Gesetze gebunden (vgl. VfSlg. 10401/1985 und VfGH B1218/86 vom 07.12.1987 mit Hinweisen auf die Materialien und auf die Literatur). Der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang im Anschluß an eine von der Lehre geprägte Terminologie von "immanenten Grundrechtsschranken" gesprochen. Allerdings können - wie der Gerichtshof in den beiden zitierten Erkenntnissen - entgegen manchen Deutungen in der Lehre (vgl. B. Davy, EuGRZ 1985, 516 ff. und Öhlinger, Medien und Recht 1988, 51 f.) - ebenfalls schon ausgeführt hat - auch gesetzliche Regelungen, die nicht intentional auf eine Beschränkung der Kunstfreiheit gerichtet sind, in ihrer Auswirkung mit dem Recht auf Freiheit der Kunst in Konflikt geraten. Der Verfassungsgerichtshof stimmt der Bundesregierung zu, wenn sie unter Hinweis auf den parlamentarischen Ausschußbericht ausführt, daß derartige Eingriffe in die Kunstfreiheit dann zulässig sind, wenn sie zum Schutz eines anderen Rechtsgutes erforderlich und verhältnismäßig sind, womit eine Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und dem durch den Eingriff geschützten Rechtsgut erforderlich wird. Diese Position wird auch in der Literatur geteilt (vgl. zB Berka, JBl. 1983, 290, der vom notwendigen Ausgleich zwischen der verfassungsrechtlich verbürgten Individualfreiheit und den ihr entgegenstehenden öffentlichen Interessen spricht und formuliert, daß in das Grundrecht eingegriffen wird, wenn die Gesetzgebung die grundrechtliche Verpflichtung zu dieser materiellen Abwägung verkennen würde, und Neisser, ÖJZ 1983, 7 ff., hier: 9, der ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Freiheit künstlerischer Betätigung und jenen Elementen, die die Schranken begründen, verlangt und meint, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestimme die Schrankenfestlegung; vgl. auch Mayerhofer, ÖJZ 1986, 582, und Mandler, JBl. 1986, 92). Diese Position liegt auch den Erkenntnissen VfSlg. 10401/1985 und B1218/86 vom 07.12.1987 zugrunde. Kein intentionaler Eingriff durch (den teilweise in Prüfung stehenden) §3 Abs4 AuslBG iVm dem übrigen Bewilligungssystem des AuslBG. Im Einleitungsbeschluß hat der Verfassungsgerichtshof zunächst das Bedenken geäußert, daß eine Regelung, die eine künstlerische Betätigung dann, wenn sie in Form einer unselbständigen Beschäftigung erfolgt, von einer staatlichen Bewilligung abhängig macht, dem Grundrecht der Freiheit der Kunst direkt und geradezu intentional widerspricht, sofern sie es nicht ermöglicht, bei der Erteilung oder Versagung der Bewilligung auf Aspekte der Kunstfreiheit Bedacht zu nehmen. Dem hat die Bundesregierung zu Recht entgegengehalten, daß Gegenstand der Bewilligung nicht die künstlerische Tätigkeit als solche sei und daß die Bewilligungspflicht nicht deshalb vorgesehen sei, weil ein ausländischer Künstler künstlerisch tätig ist, sondern weil er als Fremder in Österreich unselbständig tätig zu werden beabsichtigt. Die damit bewirkte Beschränkung ist nicht Ergebnis einer spezifischen Zielsetzung des Gesetzes, sondern lediglich eine reflexartige Nebenwirkung eines keineswegs auf Künstler beschränkten allgemeinen Gesetzes. Abwägung hinsichtlich Kunstfreiheit ausgeschlossen. Die beiden Voraussetzungen des §4 Abs1 AuslBG, die (arg. "und") kumulativ gegeben sein müssen, damit die Behörde eine Beschäftigungsbewilligung erteilen darf, sind, daß dies die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zuläßt und daß wichtige öffentliche oder gesamtwirtschaftliche Interessen nicht entgegenstehen. Läßt es die Situation des Arbeitsmarktes nicht zu, so können öffentliche Interessen welcher Art auch immer für die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung sprechen, sie wäre dennoch zu versagen. Für eine Abwägung, ob die angestrebte Beschäftigung eine künstlerische Tätigkeit ist, oder nicht, bleibt aber auch im übrigen Anwendungsbereich des §4 Abs1 leg. cit. kein Raum. Es trifft also nicht zu, daß die Behörde bei der Entscheidung über die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung in der Lage ist, die durch das AuslBG geschützten Interessen gegen die mit einer Verweigerung der Beschäftigungsbewilligung verbundene Beeinträchtigung der Kunstfreiheit abzuwägen. Vollends ausgeschlossen ist eine Abwägung dann, wenn die Beschäftigung schon vor der Entscheidung über die Erteilung der Bewilligung begonnen hat. Die Formulierung des §4 Abs3 Z11 AuslBG schließt es aus anzunehmen, die Behörde habe auch diesfalls einen Gestaltungsspielraum, der ihr eine die Aspekte der Kunstfreiheit beachtende Gesetzesanwendung ermögliche. Aufhebung der Worte: "a) einen Tag oder b) zur Sicherung eines Konzerts, einer Vorstellung, einer laufenden Filmproduktion, einer Rundfunk- oder Fernsehlifesendung drei Tage" in §3 Abs4 AuslBG (Ausnahmen von der Bewilligungspflicht für Künstler) wegen Verstoßes gegen die Kunstfreiheit. Die aufgehobenen Worte sind (auch) Sitz der Verfassungswidrigkeit des gesamten Bewilligungssystems; Unverhältnismäßiger Eingriff. Die beiden Voraussetzungen des §4 Abs1 AuslBG, die (arg. "und") kumulativ gegeben sein müssen, damit die Behörde eine Beschäftigungsbewilligung erteilen darf, sind, daß dies die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zuläßt und daß wichtige öffentliche oder gesamtwirtschaftliche Interessen nicht entgegenstehen. Läßt es die Situation des Arbeitsmarktes nicht zu, so können öffentliche Interessen welcher Art auch immer für die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung sprechen, sie wäre dennoch zu versagen. Für eine Abwägung, ob die angestrebte Beschäftigung eine künstlerische Tätigkeit ist, oder nicht, bleibt aber auch im übrigen Anwendungsbereich des §4 Abs1 leg. cit. kein Raum. Es trifft also nicht zu, daß die Behörde bei der Entscheidung über die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung in der Lage ist, die durch das AuslBG geschützten Interessen gegen die mit einer Verweigerung der Beschäftigungsbewilligung verbundene Beeinträchtigung der Kunstfreiheit abzuwägen. Andererseits entfaltet eine Bewilligungspflicht für eine als unselbständige Beschäftigung ausgeübte künstlerische Betätigung eine besonders eingriffsnahe und schwerwiegende Wirkung auf das durch Art17a StGG geschützte Rechtsgut. Denn zumindest jenen Künstlern, die ihre künstlerische Tätigkeit deren Art nach nur in Form einer unselbständigen Beschäftigung ausüben können, wird durch die Verweigerung der Beschäftigungsbewilligung ihr künstlerisches Schaffen überhaupt unmöglich gemacht. Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß die von der Bundesregierung geschilderten Umstände des Arbeitsmarktes für darstellende Künstler und Musiker auch Maßnahmen rechtfertigen könnten, die in ihren Auswirkungen die Kunstfreiheit beschränken. Diese Einschränkungen dürfen aber weder die Behörde ermächtigen, den Inhalt der künstlerischen Tätigkeit zu überprüfen, noch dürfen sie im Ergebnis so weit gehen, daß durch sie bestimmte künstlerische Betätigungen im Effekt überhaupt unmöglich gemacht werden. Aufhebung der Worte: "a) einen Tag oder b) zur Sicherung eines Konzerts, einer Vorstellung, einer laufenden Filmproduktion, einer Rundfunk- oder Fernsehlifesendung drei Tage" in §3 Abs4 AuslBG (Ausnahmen von der Bewilligungspflicht für Künstler). Die aufgehobenen Worte sind (auch) Sitz der Verfassungswidrigkeit des gesamten Bewilligungssystems. Abwägung hinsichtlich Kunstfreiheit ausgeschlossen; Unverhältnismäßig intensiver Eingriff. Aufhebung der Worte: "a) einen Tag oder b) zur Sicherung eines Konzerts, einer Vorstellung, einer laufenden Filmproduktion, einer Rundfunk- oder Fernsehlifesendung drei Tage" in §3 Abs4 AuslBG (Ausnahmen von der Bewilligungspflicht für Künstler) wegen Verstoßes gegen die Kunstfreiheit. Der Verfassungsgerichtshof geht bei Bestimmung des Umfangs einer als verfassungswidrig aufzuhebenden Rechtsvorschrift stets vom Grundgedanken aus, daß ein Gesetzesprüfungsverfahren dazu führen soll, eine festgestellte Verfassungswidrigkeit zu beseitigen, daß aber der nach Aufhebung verbleibende Teil des Gesetzes möglichst nicht mehr verändert werden soll, als zur Bereinigung der Rechtslage unbedingt notwendig ist, daß also keine oder möglichst wenige Regelungen aufgehoben werden sollen, gegen die sich die Bedenken nicht richten (VfSlg. 8461/1978 mwH). Aus diesen Erwägungen hat der Verfassungsgerichtshof im Einleitungsbeschluß bloß die im Spruch genannte Wortfolge in Prüfung gezogen, in der die von ihm angenommene Verfassungswidrigkeit (auch) ihren Sitz zu haben schien, weil sie ua. bewirkt, daß Personen, die über das dort genannte Maß hinaus künstlerisch tätig sein wollen, dies nicht bloß anzuzeigen haben, sondern in die Bewilligungspflicht einbezogen werden. Im Gesetzesprüfungsverfahren ist nichts hervorgekommen, was gegen den im Prüfungsbeschluß vorläufig eingenommenen Standpunkt des Verfassungsgerichtshofes spräche.

Gericht:
Verfassungsgerichtshof (VfGH)

Geschäftszahl:
G97/88 ; G98/88; G99/88; G100/88

Schlagworte:

Entscheidung:
16.06.1988

Norm:
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs3 erster Satz
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
StGG Art17a
AuslBG §3 Abs4
AuslBG §4 Abs1
AuslBG §4 Abs3 Z11
AuslBG §20 Abs3
AuslBG §21

Kategorie:


WEITERE INFORMATIONEN

Entscheidungstexte


G 97-100/88 G 97-100/88 Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 16.06.1988 G 97-100/88