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RECHTSPRECHUNG


RS0116865


Nach der neueren Rechtsprechung gebührt nahen Angehörigen eines Getöteten für den ihnen verursachten „Schockschaden“ mit Krankheitswert ebenfalls Schmerzengeld, weil diese „Dritten“ durch das Erleiden eines Nervenschadens in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und als unmittelbar Geschädigte anzusehen sind (vergleiche RIS-Justiz RS0031111). Die Rechtswidrigkeit einer solchen Körperverletzung wird dabei zwar nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, welche die Erstverletzung verhindern soll, aber aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet. Die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung wird dadurch eingegrenzt, dass es eines besonders starken Zurechnungsgrundes bedarf, also die Verletzungshandlung gegenüber dem Angehörigen in hohem Maß geeignet erscheint, einen Schockschaden herbeizuführen. Der Schock muss im Hinblick auf seinen Anlass verständlich sein. Auslöser für die erlittene psychische Erkrankung in diesem Sinne kann aber bei nahem Verwandten auch die Todesnachricht sein, weil bei einer besonders engen persönlichen Verbundenheit, wie sie zwischen nahen Angehörigen typischerweise besteht, die Erstschädigung (Tötung) auch für den dritten Schockgeschädigten so gefährlich ist, dass von einer deliktischen Zufügung des Schockschadens gesprochen werden kann (so schon 2 Ob 79/00g).


Rechtssatz:

Nach der neueren Rechtsprechung gebührt nahen Angehörigen eines Getöteten für den ihnen verursachten "Schockschaden " mit Krankheitswert ebenfalls Schmerzengeld, weil diese "Dritten" durch das Erleiden eines Nervenschadens in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und als unmittelbar Geschädigte anzusehen sind (vergleiche RIS-Justiz RS0031111). Die Rechtswidrigkeit einer solchen Körperverletzung wird dabei zwar nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, welche die Erstverletzung verhindern soll, aber aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet. Die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung wird dadurch eingegrenzt, dass es eines besonders starken Zurechnungsgrundes bedarf, also die Verletzungshandlung gegenüber dem Angehörigen in hohem Maß geeignet erscheint, einen Schockschaden herbeizuführen. Der Schock muss im Hinblick auf seinen Anlass verständlich sein. Auslöser für die erlittene psychische Erkrankung in diesem Sinne kann aber bei nahem Verwandten auch die Todesnachricht sein, weil bei einer besonders engen persönlichen Verbundenheit, wie sie zwischen nahen Angehörigen typischerweise besteht, die Erstschädigung (Tötung) auch für den dritten Schockgeschädigten so gefährlich ist, dass von einer deliktischen Zufügung des Schockschadens gesprochen werden kann (so schon 2 Ob 79/00g).

Gericht:
OGH

Geschäftszahl:
8Ob127/02p; 2Ob212/04x; 2Ob53/05s; 7Ob28/07d; 1Ob88/07h; 2Ob15/07f; 2Ob163/06v; 5Ob18/08w; 2Ob77/09a; 9Ob83/09k; 4Ob36/10p; 4Ob71/10k; 2Ob138/10y; 4Ob8/11x; 2Ob219/10k; 2Ob136/11f; 1Ob171/12x; 2Ob70/14d; 2Ob215/14b; 1Ob125/16p; 1Ob114/16w; 2Ob189/16g; 13Os139/17s

Schlagworte:

Entscheidung:
29.08.2002

Norm:
ABGB §1325 E4
ABGB §1325 E5

Kategorie:


WEITERE INFORMATIONEN

Entscheidungstexte


8 Ob 127/02p 8 Ob 127/02p Entscheidungstext OGH 29.08.2002 8 Ob 127/02p Veröff: SZ 2002/110
2 Ob 212/04x 2 Ob 212/04x Entscheidungstext OGH 02.02.2006 2 Ob 212/04x Auch; Beisatz: Hier: Lebensgefährte, grobe Fahrlässigkeit, Schockschaden mit Krankheitswert. (T1)
2 Ob 53/05s 2 Ob 53/05s Entscheidungstext OGH 12.06.2006 2 Ob 53/05s Auch; Beisatz: Erörterung der Frage, ob ein derartiger Schockschaden mit Krankheitswert auch im Fall schwerster Verletzung naher Angehöriger zu ersetzen ist. (T2) Beisatz: Hier: Keine „schwerste" Verletzung. (T3)
7 Ob 28/07d 7 Ob 28/07d Entscheidungstext OGH 18.04.2007 7 Ob 28/07d Auch; Beis wie T2; Beis wie T3
1 Ob 88/07h 1 Ob 88/07h Entscheidungstext OGH 26.06.2007 1 Ob 88/07h Vgl auch; Beisatz: Die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung wiegt so schwer, dass sich der Ausgleich des Fernwirkungsschadens nur bei Hinzutreten eines besonders starken Zurechnungsgrundes rechtfertigen lässt; ein solcher liegt dann vor, wenn das Verhalten gerade auch gegenüber dem betroffenen Dritten besonders gefährlich ist, also die Verletzungshandlung in hohem Maß geeignet erscheint, bei diesem Gesundheitsschäden herbeizuführen. (T4) Beisatz: Hier: Die zwei Tage währende Anhaltung des Ehegatten der Klägerin und die Durchführung eines Strafverfahrens kann jedoch - bei objektiv-typisierender Betrachtung - in seiner Eignung, einen „Schockschaden " herbeizuführen, nicht mit der Tötung eines Angehörigen bzw eines Dritten oder mit schwersten Verletzungen eines - deshalb pflegebedürftigen - Angehörigen gleichgesetzt werden. (T5) Veröff: SZ 2007/101
2 Ob 15/07f 2 Ob 15/07f Entscheidungstext OGH 14.06.2007 2 Ob 15/07f Auch; nur: Nach der neueren Rechtsprechung gebührt nahen Angehörigen eines Getöteten für den ihnen verursachten "Schockschaden " mit Krankheitswert ebenfalls Schmerzengeld, weil diese "Dritten" durch das Erleiden eines Nervenschadens in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und als unmittelbar Geschädigte anzusehen sind. (T6) Beis wie T1 nur: Lebensgefährte, Schockschaden mit Krankheitswert. (T7) Beisatz: Eine Person, die zwar eine gewisse Nahebeziehung zum Getöteten hatte, jedoch mit dem Getöteten weder (nah) verwandt noch verheiratet noch deren Lebensgefährte war, hat keinen Anspruch auf Schmerzengeld wegen eines erlittenen Trauer- oder Schockschadens. (T8)
2 Ob 163/06v 2 Ob 163/06v Entscheidungstext OGH 14.06.2007 2 Ob 163/06v Auch; Beis wie T2 nur: Ein derartiger Schockschaden mit Krankheitswert ist im Fall schwerster Verletzung naher Angehöriger zu ersetzen. (T9) Beisatz: Ein Ersatzanspruch ist auch dann zu gewähren, wenn nicht die Verletzung des Angehörigen selbst einen Schock auslöst, sondern beispielsweise erst seine Betreuung auf Grund einer Überlastungssituation zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung des pflegenden Familienmitgliedes führt. (T10) Veröff: SZ 2007/96 Veröff: SZ 2012/64
5 Ob 18/08w 5 Ob 18/08w Entscheidungstext OGH 03.06.2008 5 Ob 18/08w Vgl; Beisatz: (Vermeintliche) Schockschäden naher Angehöriger mit (behauptetem) Krankheitswert sind jedenfalls nur dann ersatzfähig, wenn die Verletzungshandlung - im Rahmen einer typisierten Betrachtung - in hohem Maße geeignet erschien, einen solchen Schockschaden herbeizuführen, was insbesondere bei schwersten Verletzungen naher Angehöriger in Frage kommen kann. (T11) Beisatz: Hier: Weder das Schadensereignis (fehlerhafte, vornehmlich verzögerte ärztliche Maßnahmen zur Behandlung einer Hodentorsion des Zweitklägers) noch die daraus resultierenden Folgen beim Erstkläger (psychische Beeinträchtigungen) sind in ihrer Gravität auch nur annähernd mit Fällen vergleichbar, in denen bislang Ersatz für „Schockschäden" zuerkannt wurde. (T12)
2 Ob 77/09a 2 Ob 77/09a Entscheidungstext OGH 03.09.2009 2 Ob 77/09a Auch; Auch Beis wie T9; Vgl Beis wie T10; Beisatz: Die Frage, ob die physische oder psychische Beeinträchtigung des Unfallopfers ein solches Ausmaß erreicht, dass nach den diesbezüglichen Kriterien Schadenersatz für die dadurch ausgelöste seelische Gesundheitsschädigung eines nahen Angehörigen zuerkannt werden kann, entzieht sich einer allgemeinen Aussage des Obersten Gerichtshofs. Entscheidend sind vielmehr stets die konkreten Umstände des Einzelfalls, sodass in der Regel keine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten sein wird. (T13)
9 Ob 83/09k 9 Ob 83/09k Entscheidungstext OGH 30.06.2010 9 Ob 83/09k Vgl auch; Beisatz: Im Falle eines ärztlichen Kunstfehlers mit der Folge des Todes des Patienten ist auch der in aufrechter Lebensgemeinschaft mit dem Patienten lebende Ehegatte aus dem Behandlungsvertrag derart geschützt, dass er für einen bei ihm eingetretenen Trauerschaden mit Krankheitswert vom Vertragspartner des Getöteten Ersatz wegen Verletzung vertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten begehren kann. (T14) Veröff: SZ 2010/79
4 Ob 36/10p 4 Ob 36/10p Entscheidungstext OGH 11.05.2010 4 Ob 36/10p Vgl; Beisatz: Bei vorliegen eines Schockschadens mit Krankheitswert kommt es, anders als beim bloßen Trauerschmerzengeld, nicht auf das Vorliegen grober Fahrlässigkeit an. (T15) Veröff: SZ 2010/52
4 Ob 71/10k 4 Ob 71/10k Entscheidungstext OGH 08.06.2010 4 Ob 71/10k Auch; nur: Die Rechtswidrigkeit einer solchen Körperverletzung wird dabei zwar nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, welche die Erstverletzung verhindern soll, aber aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet. Die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung wird dadurch eingegrenzt, dass es eines besonders starken Zurechnungsgrundes bedarf, also die Verletzungshandlung gegenüber dem Angehörigen in hohem Maß geeignet erscheint, einen Schockschaden herbeizuführen. Der Schock muss im Hinblick auf seinen Anlass verständlich sein. (T16) nur T6; Beis wie T4 Beisatz: Eine Haftung des Beklagten für den Schockschaden der Klägerin kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn die dem Beklagten vorgeworfene schuldhaft rechtswidrige Unterlassung auch kausal für den Tod des Gatten der Klägerin war. (T17)
2 Ob 138/10y 2 Ob 138/10y Entscheidungstext OGH 03.03.2011 2 Ob 138/10y Auch; nur T6
4 Ob 8/11x 4 Ob 8/11x Entscheidungstext OGH 12.04.2011 4 Ob 8/11x Vgl auch; Beis ähnlich wie T4; Beis ähnlich wie T11; Beisatz: Hier: Beeinträchtigung der Eltern‑Kind‑Beziehung. (T18) Veröff: SZ 2011/48
2 Ob 219/10k 2 Ob 219/10k Entscheidungstext OGH 22.06.2011 2 Ob 219/10k Vgl; Beis wie T15; Veröff: SZ 2011/76 Bem: Zum 2. Rechtsgang siehe 2 Ob 148/15a. (T18a)
2 Ob 136/11f 2 Ob 136/11f Entscheidungstext OGH 13.06.2012 2 Ob 136/11f nur T6; nur T16; Vgl Beis wie T2; Vgl Beis wie T9; Vgl Beis wie T10; Vgl Beis wie T11; Beisatz: Hier: Schockschaden durch Unfallnachricht bei schweren Verletzungen. (T19) Beisatz: „Schwerste Verletzungen“ sind solche, bei denen die Nachricht auf den nahen Angehörigen typischerweise ähnlich wie eine Todesnachricht wirkt. (T20) Bem: Siehe RS0127926. (T21)
1 Ob 171/12x 1 Ob 171/12x Entscheidungstext OGH 11.10.2012 1 Ob 171/12x Auch
2 Ob 70/14d 2 Ob 70/14d Entscheidungstext OGH 22.05.2014 2 Ob 70/14d Auch; nur: Nach der neueren Rechtsprechung gebührt nahen Angehörigen eines Getöteten für den ihnen verursachten "Schockschaden " mit Krankheitswert ebenfalls Schmerzengeld, weil diese "Dritten" durch das Erleiden eines Nervenschadens in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und als unmittelbar Geschädigte anzusehen sind (vergleiche RIS-Justiz RS0031111). Die Rechtswidrigkeit einer solchen Körperverletzung wird dabei zwar nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, welche die Erstverletzung verhindern soll, aber aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet. Die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung wird dadurch eingegrenzt, dass es eines besonders starken Zurechnungsgrundes bedarf, also die Verletzungshandlung gegenüber dem Angehörigen in hohem Maß geeignet erscheint, einen Schockschaden herbeizuführen. (T22) Beis wie T19; Beis wie T20 Beisatz: Hier aber konkret nur Angst des Angehörigen vor künftigen eigenen psychischen Folgen. Eine Abgeltung bereits für die zweifellos vorhandene Einbuße an Lebensfreude würde ein Ausufern der Haftung für grundsätzlich nicht ersatzfähige Drittschäden bedeuten. (T23)
2 Ob 215/14b 2 Ob 215/14b Entscheidungstext OGH 18.12.2014 2 Ob 215/14b Vgl auch
1 Ob 125/16p 1 Ob 125/16p Entscheidungstext OGH 30.08.2016 1 Ob 125/16p Auch; nur T22
1 Ob 114/16w 1 Ob 114/16w Entscheidungstext OGH 30.08.2016 1 Ob 114/16w Vgl auch; Beis wie T10; Veröff: SZ 2016/79
2 Ob 189/16g 2 Ob 189/16g Entscheidungstext OGH 28.11.2017 2 Ob 189/16g nur T6
13 Os 139/17s 13 Os 139/17s Entscheidungstext OGH 14.03.2018 13 Os 139/17s Auch; Beisatz: Schockschadenersatz für massive psychische Beeinträchtigungen bei der Mutter eines missbrauchten Kindes. (T24)